Prof. Dr. Lars Kaderali ist seit 2005 Professor für Bioinformatik und Leiter des Instituts für Bioinformatik an der Universitätsmedizin in Greifswald. Seit Jahresbeginn ist er zudem Sprecher des Digital Health Labs der Universitätsmedizin Greifswald. Kaderali berät die Landes- und Bundesregierung zur Corona-Pandemie und ist Mitglied im Corona-Expertenrat des Bundes. Mit der Interview-Reihe gibt er uns Einblicke in die Gründung und seine Arbeit von AI4LIFE und warum künstliche Intelligenz so relevant für die Zukunft ist. Das Interview ist Teil einer neuen Interview-Reihe mit den Mitgliedern aus dem Netzwerk.
Bitte beschreiben Sie, wie es zu der Gründung von Ai For Life gekommen ist.
Künstliche Intelligenz in medizinischen Anwendungen beschäftigt uns am Institut für Bioinformatik bereits seit vielen Jahren, das Thema ist also keinesfalls neu. In den vergangenen Jahren hat die KI jedoch sehr viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Dies hat dazu geführt, dass sich auch in Greifswald viele Arbeitsgruppen sowohl von der Anwender- als auch von der methodischen Seite mit KI befasst haben, oft ohne voneinander zu wissen. Der Greifswald University Club hat hier eine vernetzende Aufgabe übernommen, und schafft mit AI4LIFE eine Plattform, in der potentielle Anwender, Nutzer und Entwickler von KI-Methoden zusammenkommen können. Dazu wurde vor 2 Jahren ein Workshop auf der Insel Riems organisiert, an dem Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam zu KI diskutiert haben. Dies hat letztlich zur Gründung von AI4LIFE geführt.
Bitte beschreiben Sie kurz, was Ai For Life für Sie ausmacht. Welche Ziele verfolgen Sie mit Ai For Life?
Das wichtigste Ziel von AI4LIFE ist es, Anwender und Entwickler von KI- Methoden in den Lebenswissenschaften zu vernetzen, und dem Thema Sichtbarkeit im östlichen Mecklenburg-Vorpommern zu verschaffen. Dazu organisiert AI4LIFE eine Webplattform, aber auch Workshops, Sommerschulen und Konferenzen, und sorgt so für eine lokale ebenso wie nationale und internationale Verknüpfung.
Sprechen wir über Ihre Schwerpunkte. Während Sie außerhalb der Universität im Zuge der Coronavirus-Pandemie wichtige Modellierungen für die Regierung Mecklenburg-Vorpommerns vornehmen, beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung unter anderem mit Methoden des maschinellen Lernens. Welche Rolle nehmen Algorithmen in der Medizin und Epidemiologie heute bereits ein?
Die Lebenswissenschaften sind ein sehr Daten-reiches Gebiet. In meinem Fach, der Bioinformatik, betrifft das traditionell vor allem molekulare Hochdurchsatzdaten, zum Beispiel aus der Genomsequenzierung und der Genexpressions-Analyse. In diesen Experimenten fallen sehr viele Daten an, eine händische Datenanalyse ist da nicht mehr möglich. Dementsprechend werden hier bereits seit 20 Jahren Methoden der künstlichen Intelligenz des Data Mining eingesetzt. Ähnliches gilt auch in anderen Teilgebieten, etwa in der klinischen Forschung, wo mehr und mehr Daten verschiedenster Provenienz zusammengeführt und gemeinsam ausgewertet werden, um bessere Diagnosen und Therapien zu entwickeln. Insofern wächst die Bedeutung der KI-Methoden, und wird weiter zunehmen. Die große Herausforderung aktuell ist es, Methoden der künstlichen Intelligenz aus dem Computer-Labor in die Praxis, also auch in die Klinik und die Routine-Patientenversorgung zu bringen. Dem widmen wir uns mit AI4Life und dem neuen Digital Health Lab der Universitätsmedizin.
Das Netzwerk wächst konstant um neue Schwerpunkte. Wie schätzen Sie die aktuelle Bedeutung des Wissenschaftsstandortes Greifswald und Mecklenburg-Vorpommern insgesamt ein? Welche Veränderungen sehen Sie für die nächsten Jahre darauf zukommen?
Der Standort Greifswald und auch MV insgesamt ist ein relativ kleiner Standort, der im Moment den Entwicklungen eher hinterherläuft. Umso wichtiger ist es, hier nicht den Anschluss zu verlieren. Das Thema KI bietet sehr viel Potential, und MV hat gerade im Bereich KI in der Gesundheitsvorsorge gute Voraussetzungen hier etwas aufzubauen. Das Gebiet entwickelt sich sehr dynamisch, dies ist eine Chance – wenn man auf die richtigen Schwerpunkte setzt und Alleinstellungsmerkmale ausspielt kann man hier etwas Großes aufbauen. Wir stehen ganz am Anfang der Entwicklung.
Wie weit ist die Anwendung von Algorithmen hinsichtlich der Modellierung von Pandemien und was schätzen Sie, wird in Zukunft mithilfe von Methoden der Bioinformatik hinsichtlich der Vorhersage von Pandemien möglich sein?
Die Pandemievorhersage basiert aktuell vor allem auf Differentialgleichungsmodellen und Agenten-basierten Modellen. Methoden der künstlichen Intelligenz spielen derzeit eher eine untergeordnete Rolle. Dies liegt auch an der sehr begrenzten Verfügbarkeit von Daten, die ja Voraussetzung für KI-Methoden sind. Ich denke aber schon dass diese Methoden auch im Bereich der Pandemie zunehmend an Bedeutung gewinnen werden, insbesondere auch wenn es um die Frage des individuellen Verlaufs der Erkrankung für einzelne Patienten und mögliche Therapieentscheidungen geht. Parallel könnte auch für die Einschätzung des Individuellen Ansteckungsrisikos KI zum Einsatz kommen, etwa im Zusammenhang mit der Conrona-Warn-App.
Wir bedanken uns für das Interview und sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen rund um Ai For Life. Allen Interessierten raten wir, regelmäßig auf unserer Website vorbeizuschauen, um keine Neuigkeiten zu verpassen.